Alzheimer on the Road
Juliane Schiemenz, Reportagen

Ein berührender Text über die Autorin, ihren alzeimerkranken Vater und die emotionalen Konflikte in die einen eine solche Krankheit bringt.

Deutsche Sphinx
Heribert Prantl, Süddeutsche Zeitung

Prantl beschreibt Schäuble als Machtmenschen, der Disziplin will und Schwächen anderer nicht ertragen kann. Er hilft etwas besser die aktuelle Rolle Schäubles zu verstehen.

Kurze Geschichte der europäischen Zukunft
Robert Menasse, Eurozine

Menasse schreibt, dass die europäische Einigung nur zum Teil ein Friedensprojekt sei, sondern vor allem der Anspruch, Nationen und Nationalismus zu überwinden. Doch dieses Ziel habe man aus den Augen verloren:

Wäre François Hollande imstande, Mitterands Satz „Le nationalisme c’est la guerre“ frei heraus zu sagen? Würde es Angela Merkel wagen, den Satz von Walter Hallstein „Das Ziel ist die Überwindung der Nationen“ zumindest zu buchstabieren?

Der Raser
Constantin Seibt, Tages-Anzeiger

Ein sehr positives Porträt von Alexis Tsipras mit interessanten Beobachtungen:

„Tsipras ist ein halbes Jahr im Amt. Und es wirkt wie ein halbes Jahrhundert. Einerseits, weil so viel, andererseits, weil fast nichts passiert ist. In der Griechenland-krise herrscht ein rasender Stillstand. Allein die letzten zwei Wochen lesen sich wie ein LSD-Trip.“

The cult of Vice
Chris Ip, Columbia Journalism Review

„Vice has mastered the mass production of authenticity for profit“, schreibt der Autor. Mit dieser Authentizität erreicht Vice auch jüngere Nutzer, die kaum klassische Nachrichtensendungen konsumieren. Doch einen gangbaren Weg zwischen Unterhaltung und Journalismus zu finden, ist eine Herausforderung für die Rampensäue von Vice.

Mau Mau
Radiolab

Nicht viel war bis heute bekannt über die Archivdokumente der Britischen Kolonialverwaltung, die nach der Unabhängigkeit der jeweiligen Ländern nach Großbritannien gebracht wurden. Die Geschichte der kenianischen Mau-Mau-Rebellen brachte Hunderte von Kilometern an Archivdokumenten ans Licht. In der Sendung werden Historiker zitiert, die davon ausgehen, dass große Teile der britischen Kolonialgeschichte neu geschrieben werden muss.

A Radical Vatican?
Naomi Klein, The New Yorker

Eine linke Feministin im Vatikan – how shocking! Naomi Klein war eingeladen worden, um mit über die Klima-Enzyklika des Papstes zu diskutieren. Als Außenseiterin wirft sie einen sehr interessanten Blick auf diesen Text und die Kirche, die ihn hervorgebracht hat. Spannend ist auch ihre Einschätzung, warum sich der Vatikan von anderen Akteuren unterscheidet:

People of faith, particularly missionary faiths, believe deeply in something that a lot of secular people aren’t so sure about: that all human beings are capable of profound change.

Meet the Goldman Sachs banker who got rich getting Greece into the euro
Jim Armitage

Reports suggest she was paid up to $12m a year by the time she was named co-head of the investment banking group.

The Demolition Man
Jane Kramer, The New Yorker

Beim Lesen dieses Porträts des italienischen Premiers Matteo Renzi musste ich immer wieder an Xavier Bettel denken:

He has what could be called a peripatetic mind and, like any good performer, he uses it to keep you on the edge of your seat, not asking inconvenient questions, and also, perhaps, to impress himself when he’s about to confront an obstacle in his path.

Das ging mir auch bereits beim Artikel von Perry Anderson so („his chubby good looks and cocky manner made him a natural attraction once he entered politics“).

Willkommen in der Hyperzivilisation
Johannes Kuhn, Süddeutsche Zeitung

Bürgermeister Ed Lee hatte wie sein Vorgänger Gavin Newsom San Francisco nach der Wirtschaftskrise von 2008 mit Steuererleichterungen für Twitter und Co. als Alternative zum Silicon Valley etabliert. Nun sind die Jobs da, aber ein Teil der Stadt droht zu verschwinden.

Aggressiver Humanismus
Zentrum für politische Schönheit

Die Aktivisten, die letzte Woche mit ihrer Aktion „Die Toten kommen“ viel Aufmerksamkeit bekamen, erklären in diesem Text von 2014, dass sie die traditionellen Menschenrechtsorganisationen zu nett und zu höflich finden. So ganz überzeugt mich die Argumentation nicht, aber der Vergleich zu Natur- und Umweltschützer ist ganz interessant. Dem Zentrum für politische Schönheit warf man vor, mehr auf sich aufmerksam zu machen als auf das Problem. Diese Kritik hört man selten, wenn es um Greenpeace geht …

Une démocratie post-représentative et post-gouvernementale pour une société post-croissance ?
Yannick Rumpala

Il est difficile de ne pas noter que l’érosion de la « croissance économique » (voire, derrière elle, les difficultés du système économique lui-même) et la « crise » du système politique représentatif interviennent au même moment.

 

Can Politico make Brussels sexy?
Gideon Lewis-Kraus, The Guardian

Als europhiler Newsjunkie fasziniert mich Politico – muss ich zugeben. Entsprechend viel habe ich dazu gelesen, aber dieser Beitrag ist weit besser: durchaus wohlwollend, aber trotzdem bringt der Autor die Probleme auf den Punkt. Politico müsse sich sowohl ihre Leserschaft als auch den Gegenstand der Berichterstattung erst selbst schaffen, schreibt er etwa:

the appetite for Politico in DC existed before Politico did. The audience for a digital-first gossip-mongering Brussels-based Anglophone pan-European publication does not yet exist, and each one of those constitutive elements presents its own problem.

Und das Lesen lohnt allein wegen Sätzen wie diesen:

Juncker’s CV reads almost as though he were a performance artist of bureaucracy

The Plunder of Africa
Howard French, Foreign Affairs

Der Autor rezensiert The Looting Machine von Tom Burgis – offensichtlich ein sehr gutes Buch:

“In 2010,” he writes, “fuel and mineral exports from Africa were worth $333 billion, more than seven times the value of the aid that went in the opposite direction.”

Einer der Hauptgründe für die Probleme des Kontinents sind – oh Wunder – die lächerlich geringen Steuern, die multinationale Konzerne den afrikanischen Staaten zahlen.

Eye in the Sky
Radiolab, NPR

Massenüberwachung in absoluter Form: Davon handelt dieser Beitrag über ein privates Unternehmen, das mit Flugzeugen über Städten kreist und mit Hochleistungskameras alles fotografiert, was dort passiert. Das System wurde in mehreren amerikanischen Städten getestet und löste dort größere Debatten aus, denn einerseits ist es sehr effizient und andererseits aber auch äußerst creepy. In einer weiteren Sendung geht darum, wie ein verurteilter Betrüger herausfindet, was ihn hinter Gitter gebracht hat, nämlich ein sogenannter Stingray bzw. IMSI-Catcher. Diese Überwachungstechnik war damals absolut geheim, so geheim, dass sich Verfolgungsbehörden verpflichteten deren Existenz nicht in Gerichtsprozessen zu erwähnen.

Mamour, mon amour
Dominik Galliker et al., BZ Berner Zeitung

Eine etwas besondere Liebesgeschichte, die sehr einfühlsam und technisch hervorragend erzählt wird. Dafür gab es einen Grimme Online Award 2015.

In-depth: the science behind the papal encyclical
Sophie Yeo, The Carbon Brief

Die „Klima-Enzyklika“ war eines der Hauptthemen der Woche. Manche kritisierten (zurecht), dass dem Papst mehr Aufmerksamkeit geschenkt würde als dem IPCC. Doch in gewisser Weise scheint es dem Papst gelungen zu sein, die Arbeit des IPCC und moralische Anliegen auf einen Nenner zu bringen. Eine Folge davon ist eine schlimme Form kognitiver Dissonanz bei katholischen US-Amerikanern, die es vorziehen, in heiliger Ignoranz zu leben.

The Art of Dissent
Laura Poitras, The New York Times

Oder die Ästhetik des Schredderns – ein Kurzfilm über ein Projekt von Ai Weiwei und Jacob Appelbaum.

Anmerkungen mit grüner Tinte
Nico Fried, Süddeutsche Zeitung

Über den Autorisierungswahn in Deutschland am Beispiel eines Merkel-Interviews. In Luxemburg erreicht man diese Extreme Gott sei Dank (noch) nicht.

Christian human rights—An introduction
Samuel Moyn, The Immanent Frame

Inwieweit haben die Menschenrechte ein christliches Fundament? Sehr differenziert geht der Harvard-Professor dieser Frage nach. Er erklärt zum Beispiel, dass das Konzept der Menschenwürde von Papst Pius XII. Weihnachten 1942 geprägt worden sei. (via)

A New Solution: The Climate Club
William D. Nordhaus, The New York Review of Books

Wie entkommen wir der „Tragedy of the Commons“ in der Klimapolitik?

„Demokratie ist heute der Name für das, was wir nicht haben wollen – doch was wir uns dennoch sehnlich wünschen“, so formuliert der Politikwissenschaftler Ingolfur Blühdorn dieses Paradox*.

Das Referendum vom 7. Juni ist ein klares Fallbeispiel: Die Dreierkoalition wollte mit einem demokratischen Happening in die Geschichte eingehen und gleichzeitig die Rückständigkeit der CSV unter Beweis stellen. Wenn jedoch quasi alle anderen Politikbereiche – wie etwa die Steuerpolitik – von Entpolitisierung und einer entsprechenden Kontinuität zur vorigen Regierung gekennzeichnet sind, dann will sie mehr Demokratie und sehnt sich dennoch nach weniger. Das gilt selbst für die Verfassungsreform: Die neue Verfassung entstand unter Ausschluss der Öffentlichkeit ebenso wie das Abkommen mit den Religionsgemeinschaften.

Zu diesem Paradox gehört auch, dass die Politik für mehr Bürgerbeteiligung eintritt, gleichzeitig aber den Bürgern misstraut. Das Referendum darf keinen bindenden Charakter haben, der Bürger muss informiert werden und keinesfalls eigene Kampagnen organisieren, die er dann auch noch finanziert haben möchte. Die CSV warnte die vermeintlich unvorsichtigen Wähler und propagierte den “sicheren Weg” des weißen Wahlzettels bzw. des Neins.

Die Parteimitglieder dagegen mögen zwar Partei- und Koalitionsprogramme mit „mehr Demokratie“ drin, aber sie mögen sich nicht so gerne dafür engagieren. Gemeinsame Kampagnen mit anderen Parteien oder Organisationen waren offenbar undenkbar. Der Bürger will zwar gefragt werden, beklagt sich jedoch, wenn seine Zeitung oder Gewerkschaft Position bezieht und mag grundsätzlich keine kontroversen Debatten führen. Das Bistum akzeptierte ein relativ schmerzhaftes Abkommen, um eine Diskussion über den Stellenwert der Kirche in der Gesellschaft zu verhindern. Und die Asti hätte eine Einigung zum Ausländerwahlrecht im Parlament einem Referendum vorgezogen – trotz des Engagements, das sie in den letzten Monaten zeigte.

* Ingolfur Blühdorn, Simulative Demokratie. Neue Politik nach der postdemokratischen Wende, edition suhrkamp, 2013.

Zu HuffPo, Slate, Politico, ProPublica et al.:

„The first generation of digital sites as a whole […] helped lead journalism out of the kingdom of traditional print and broadcasting into the liberating land of the Internet, only to become stranded.“

Michael Massing, Digital Journalism: How Good Is It?, in: The New York Review of Books

Global_Player

(Für alle, die das Video noch nicht gesehen haben sollten.)

A League of His Own
Tariq Panja, Andrew Martin, and Vernon Silver, Bloomberg Business

Ein lesenswertes Panorama der Blatter-Welt (via Weekly Filet):

In a Strangelovian lair on the third subterranean level, Blatter holds executive committee meetings in a conference room with a floor of lapis lazuli. The room is lit by a round, crystal chandelier meant to evoke a soccer stadium.

 

Why movies make the best journalism
Richard Gehr, Columbia Journalism Review

Produzieren Dokumentarfilmer den besseren Journalismus? Die These ist reizvoll, aber ich denke nicht, dass sie zutrifft. Bekäme ein Printjournalist das gleiche Zeit- und Geldbudget wie ein Dokumentarfilmer, dann wäre das Ergebnis wohl vergleichbarer. Richtig ist allerdings, dass Storytelling grundsätzlich im Print unterschätzt wird.

As Academy Award-winning Citizenfour director Laura Poitras noted at a recent Sundance panel, documentary filmmaking is “journalism plus”: a combination of fact-finding, storytelling, and “trying to get at larger questions about the human condition.”

 

Die Produktion von Angst
Constantin Seibt, Tages-Anzeiger

Die Empörungsgeschichte ist heute das erfolgreichste Genre des Journalismus. Vor den Folgen warnt Constantin Seibt.

Er is geen enkel bewijs dat de Nederlandse kabels zijn afgetapt
Maurits Martijn, De Correspondent

In den Niederlanden ist – genau wie in Luxemburg –  die Überwachung europäischer Datenleitungen durch den BND ein Thema. Hier wie dort basiert die Berichterstattung auf Dokumenten, die der österreichische grüne Abgeordnete Peter Pilz veröffentlicht hat. Martijn warnt jedoch vor voreiligen Schlüssen: Niemand wisse, ob die Dokumente echt seien, ob die Leitungen tatsächlich angezapft worden sind, um welchen Typ es sich handelt, ob es um Massenüberwachung geht, teils handelt es sich um Wunschlisten (allerdings nicht im Falle Luxemburgs) usw. Der Autor fordert Aufklärung vom niederländischen Netzbetreiber und politischen Druck, um von deutscher Seite Informationen zu erhalten.

Enquête sur l’Islam de France
Jacques Monin, France Inter

Wer repräsentiert den Islam in Frankreich? Laut dieser – sehr differenzierten – Reportage sind es ältere Männer, die von den Konsulaten Marokkos, Algeriens und der Türkei ausgewählt werden. Der ausländische Einfluss erschwert eine Modernisierung der Strukturen und der Glaubensinhalte, die vermittelt werden. Der Laizismus verhindert jede Einflussnahme des französischen Staates auf die Entwicklung des Islams in Frankreich. Eine strikte Trennung ist also nur bedingt hilfreich – eine Erkenntnis, die in Luxemburg geflissentlich ignoriert wird.